MOSKAU, 21. April (Andrej Fedjaschin, RIA Novosti). Zuerst als Arbeitstreffen geplant, ist der jetzige Besuch Dmitri Medwedews in Finnland auf dessen Bitte zu einem Staatsbesuch erhoben worden.
Es war ihnen gar nicht peinlich, dass er zeitlich mit dem 200. Jahrestag der Vereidigung des finnischen Sejm (Parlaments) auf den russischen Zaren Alexander I. zusammengefallen ist. Das passierte im März 1809. Übrigens gibt es in Europa sonst nirgendwo so viele russischen Zaren gewidmete Denkmäler, Gedenktafeln und Stelen wie in Suomi, auch in Russland nicht.
In Helsinki steht allerdings kein Alexander-I.-Denkmal. Vor dem Sejm ist in der finnischen Hauptstadt ein Denkmal Alexanders II. (des Befreiers) errichtet.
Um Alexander I. im Rahmen einer speziellen Gedenkfeier für die Abspaltung Finnlands von Schweden und eigentlich für Finnlands Rettung als Staat zu danken, werden Dmitri Medwedew und seine finnische Amtskollegin Tarja Halonen am 21. April in die kleine Stadt Porvoo, etwa 40 Kilometer östlich von Helsinki gelegen, reisen müssen. Dort steht das Denkmal in der Kathedrale.
Dank Alexander I. sank Finnland nicht zu einer elenden Winkelprovinz des Russischen Reiches ab, sondern entwickelte sich zum Finnischen Großfürstentum, noch dazu politisch dem fortschrittlichsten in den unübersehbaren Weiten des Großreiches. Dort erhielten die Frauen erstmalig in der Welt das Wahlrecht.
Man muss sagen, dass die russischen Herrscher diesen nordwestlichen Rand ihres Staats auf eine ganz besondere Art mochten und ihn nie die ganze furchtbare Last der eigenen Reichsmacht spüren ließen. Eine Ausnahme bildete der so genannte Winterkrieg von 1939 bis 1940, aber die Herrschaft wurde damals schon von anderen Leuten ausgeübt.
Zwar ist die Unterzeichnung keiner gemeinsamen Dokumente als Ergebnisse des Besuchs geplant, aber das heißt nicht, dass es dabei mit Blumenkränzen und Denkmälern sein Bewenden haben wird. Unter den wichtigsten Fragen sind die Umstände um den Bau der Nord-Stream-Gaspipeline zu nennen. Finnland ist eines der fünf Länder (Russland, Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland), deren Hoheitsgewässer die Ostsee-Pipeline durchqueren wird, und zur endgültigen Bestätigung des Projekts ist Finnlands Zusage nötig.
Medwedew hatte bereits angekündigt: "Bei der Erörterung der Fragen um den Bau der Nord-Stream-Gasleitung, die auf dem Grund der Ostsee durch die Wirtschaftsgewässer Finnlands führen wird, soll der Akzent auf die strikteste Befolgung der ökologischen Anforderungen bei der Umsetzung des Projekts gesetzt werden."
Es kann nicht behauptet werden, dass unsere zweiseitigen Beziehungen absolut reibungslos verlaufen. Es gibt da schwierige Fragen. Aber die Finnen haben es gelernt, sie mit einem erstaunlichen Taktgefühl nicht zu übertönen. Viele Finnen behaupten selbst: Man habe sie so sehr daran gewöhnt, keine scharfen Fragen in den Beziehungen zu Russland zu berühren, dass das bei ihnen beinahe erblich verwurzelt ist: So regt jede Diskussion, die von dieser Norm abweicht, die öffentliche Meinung schon stark auf.
Aber solche Diskussionen entstehen doch, und das immer öfter. In den letzten Jahren zeichnet sich immer deutlicher die Frage nach der Möglichkeit der Rückkehr der "Karelischen Gebiete" an Finnland oder zumindest nach der Erörterung dieser Frage ab. Für deren Wiederanschluss an Finnland sind gegenwärtig an die 40 Prozent der Finnen.
Es handelt sich um die Gebiete, die 1944 an die UdSSR gingen: die Karelische Landenge, die Gebiete nördlich des Ladogasees und das Gebiet Petschenga. Alle vier bis fünf Jahre sondieren die Abgeordneten des finnischen Parlaments die Möglichkeit, die Regierung zur Einleitung von Verhandlungen über die Rückkehr Kareliens zu bewegen.
Übrigens geschah das auch 1999, als die heutige Präsidentin Tarja Halonen noch Außenministerin war. Damals antwortete sie auf eine Anfrage der Abgeordneten: "Im Prinzip ist die Möglichkeit neuer Verhandlungen über die an die Sowjetunion übergebenen Territorien und ihre Nutzung nicht auszuschließen, falls Russland dazu bereit sein wird. Doch äußert Russland keinen Wunsch, Verhandlungen über eine Grenzänderung zu führen."
Diese Frage wurde - angeblich zweimal - erhoben. Einmal 1961, noch unter Präsident Urho Kekkonen, als er mit Chruschtschow angelte. Dieser verweigerte die "Rückkehr". Das zweite Mal angeblich schon unter Jelzin, als er 1992 Helsinki besuchte. Jelzin war allem Anschein nach "nicht abgeneigt", da kam jedoch die politische Krise von 1993 in Russland dazwischen.
Auf jeden Fall gibt es keine damit zusammenhängenden Dokumente. Am aktivsten bringt die Organisation "ProKarelia" diese Idee voran. Sie hat schon errechnet, dass die Entwicklung der Karelischen Landenge und der Gebiete um Ladoga zehn Jahre und 30 Milliarden Euro in Anspruch nehmen würde.
Dazu kommen noch ein paar Kleinigkeiten, und zwar die Übersiedelung von ungefähr 370 000 Russen aus den Gebieten und das Niederlassen von rund 300 000 Finnen. Übrigens: Sollten diese Pläne jemals in Erfüllung gehen, so würden die Ölterminals Wyssozk (die Finnen nennen ihn nach alter Gewohnheit Uuras) und Primorsk (Koivisto) auf finnischem Gebiet sein.
Die Finnen brachten ihrem Nachbarn im Osten stets gemischte Gefühle entgegen, wie sie allen Völkern eigen sind, die "im Schatten" einer kolossalen und, offen gestanden, wenig unberechenbaren Macht leben. Sie kann sich wenden und Wärme spenden, kann sich aber auch rühren, und das kam ebenfalls mehrmals vor, und das kleine Land beinahe zerdrücken.
Deshalb zog es Finnland immer vor, in den Beziehungen zum "Bären" Gelassenheit und Korrektheit zu wahren. Im Zustand der Ruhe war es immer weit leichter, mit Russland (der UdSSR) zu tun zu haben. Besonders in wirtschaftlichen Dingen.
Schließlich hat den Finnen nicht ein Wunder zu ihrem heutigen wirtschaftlichen Wohlstand verholfen. Das Land hängt sehr stark vom russischen Rohstoffimport ab. Heute kommt der ganze Umfang von Naturgas, das Finnland verbraucht, aus Russland. Den Ölverbrauch deckt das Land zu 70 Prozent aus dem russischen Import. Es kauft bei uns ein Drittel der ganzen benötigten Steinkohle und zehn Prozent der Stromenergie.
Ohne russisches Holz würde die (übrigens eine der weltgrößten) Holzverarbeitung des Landes schon in einer Woche auf dem Boden liegen. Allerdings müssten ein paar Tage später beinahe 60 Prozent aller russischen Zeitungen und Zeitschriften ihr Erscheinen einstellen.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.